Mittwoch, 19. April 2017

Von Wänden und Alkohol | Das 9. Just A Little Bit Dangerous Fest in der Hansa48

Deutschpunk ist ein hartes Business. Die Zeiten in denen man mit arrhythmischem Herumgeschrubbe auf irgendeinem tausend Jahre alten Instrument des großen Bruders noch die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums erregen konnte, sind vorbei. Heute muss man sich schon was einfallen lassen, wenn man aus dem Sumpf der Mittelmäßigkeit herausragen möchte. Die einen schwören auf extravagante Bühnenoutfits, die anderen buhlen mit literweise Kunstblut um die Gunst des Publikums. Klar, kann man machen. Ich steh‘ ja eher auf Authentizität. Auch in Sachen Bühnenshow. Aber eins nach dem anderen…

Es ist Oktober 2016. Ich habe mich gerade dazu entschlossen den Hamburger Mietpreisen zu entfliehen und zu meiner Freundin ins weniger kosmopolitische, dafür aber bedeutend günstigere Kiel zu ziehen. Wo die Liebe hinfällt und so (na, see what I did there?). Kennst du diese US-Familienfilme, in denen ein kleiner Junge mit seinen Eltern aus der super coolen Großstadt in eine verschlafene Kleinstadt zieht? So ähnlich ist das. Nur freiwillig. Jedenfalls war ich entsprechend erfreut und aufgeregt zugleich, als meine Deutschpunk Coverband LINKE SPIESZER eingeladen wurde als Special Guest auf dem 9. JUST A LITTLE BIT DANGEROUS FEST zu spielen. Erfreut weil es einfach fantastisch ist in dieser Band zu spielen und viele Leute kommen würden, die ich nach meinem Umzug vermutlich nicht mehr ganz so oft sehen würde. Und aufgeregt, weil ich wie der kleine Junge aus dem Film das erste Mal vor der neuen Klasse stehen würde. Aber ey, kein Problem. Ich bin schließlich Deutsch-Punk-Experte (Herr Brummer, falls Sie das hier lesen sollten: ich warte noch immer auf ein entsprechendes Zertifikat) und Bühnenprofi.

Als dann der große Tag gekommen ist, tue ich also ganz souverän genau das, was man so tut, wenn man mit seiner Band irgendwo ankommt: warten. Und essen. Und trinken. Ja, vor allem trinken. Dieser Moscow-Mule-Kram ist aber auch einfach zu lecker. Als irgendwann die Bielefelder von GLOOM SLEEPER (geile Band, geile Leute - echt!) anfangen zu spielen, fällt mir auf, dass ich die anderen … äh … 4 Bands irgendwie überhaupt nicht mitbekommen habe. „Okay, vielleicht hol ich mir jetzt keinen neuen Drink - wir sind ja gleich dran, ne?“, denk ich mir und wackel zielsicher zur Bühne. „Man, ich hab Bock. Das wird bestimmt super gut!“. Als GLOOM SLEEPER durch sind, fangen wir an aufzubauen. Soundcheck. Schlagzeug, Bass, Gitarre. Klingt gut. „Marvin, mach mal Gesang“, fordert mich B. auf. Nichts leichter als das. Ich brülle irgendeinen Unsinn ins Mikro und torkel dabei über die Bühne. Normaler Move. Die nächsten 5 Sekunden trugen sich in meiner Erinnerung folgendermaßen zu: aus dem Nichts taucht ein Mikrofonständer auf und stellt sich mir in den Weg. Materialisiert sich quasi vor meinen Augen. So wie bei Star Trek. Und eins ist klar: der will Ärger. Kein Zweifel. Nach kurzer Rangelei ringe ich ihn zu Boden, gerate dabei jedoch selbst ins Straucheln und bremse meinen Fall mit dem Gesicht an der grob verputzten Wand. Es folgt Dunkelheit.

Als ich wieder zu mir komme, gucken mich alle sehr entsetzt an. Habe ich wieder nen Popel im Gesicht? „Marvin, bleib mal sitzen. Du hast da was am Kopf“, sagt G. mit unverhältnismäßig ernster Miene. Irgendjemand reicht mir ein Handtuch. Offenbar blute ich. Gut, dann gehen wir mal gucken. In Begleitung von I., G. und einem pöbelndem B. („Ey, ist mir scheissegal was mit deinem Kopf ist, aber wehe du hast bei deinem Sturz meine neue Steckerbox kaputt gemacht!“) wanke ich zum Klo und begutachte die kleine Platzwunde über meiner Stirn. „Pah! Das is‘ ja nix. Blutet auch schon gar nicht mehr! Weiter geht’s!“, sage ich und will zurück auf die Bühne. Glücklicherweise hält mich I. davon ab und weißt mit Nachdruck darauf hin, dass ich einen ziemlich tiefen Cut an der Oberlippe habe. Sieht echt eklig aus. Mir wird kurz schwindelig, als ich die Fleischlappen auseinanderdrücke. Zum Glück muss F. heute fahren und ist nüchtern. Zusammen mit ihm und I. geht’s ab ins Krankenhaus. Nach kurzer Wartezeit kommt eine junge Ärztin rein und fragt mich nach dem Unfallhergang. „Er ist gegen ne Wand gelaufen“, lallt I., die mindestens genauso besoffen ist, wie ich. Leicht irritiert fängt die Ärztin an, mich zu untersuchen. Ich soll auf einen Holzstiel beißen und dabei ordentlich mit den Zähnen klappern. „Okay, die Zähne scheinen fest zu sein“, sagt sie und mir wird bewusst, dass ein negatives Ergebnis des „Beißtests“ echt sau ekelhaft gewesen wäre. Wie in diesen Alpträumen wo einem einfach mal alle Zähne ausfallen. Mit einem Plastikspatel puhlt sie anschließend in meiner Lippe herum und meint: „Hm, ist immerhin nicht durchgebissen. Müssen wir aber nähen. Ich betäube Sie mal“. Sie jagt mir mehrfach eine Spritze in die Oberlippe und greift zu Nadel und Faden. Lleicht besorg fragt sie, ob bei mir alles okay sei oder ob es weh tue. Angesichts der Tatsache, dass ich immer noch lattenstramm bin, tut natürlich nichts weh. Auch die 4 Stiche nicht. Als ich meine Kriegsverletzung anschließend im Spiegel betrachte und mir eine möglichst coole Geschichte zu ihrer Entstehung ausdenke, kommentiert die etwas betagtere Krankenschwester hinter mir das Geschehen trocken mit den Worten „Na, schön sehen Sie jetzt nicht aus“. Also Pflaster drauf und ab ins Bett.

Als ich am nächsten Tag aufwache, tut mir nicht nur tierisch die Fresse weh. Meine Facebook-Wall ist auch voll mit einer Mischung aus „Ey, geht’s dir gut?“-Nachrichten und „Haha! Alter, du bist einfach tierisch besoffen gegen die Wand gelaufen! Was ist los mit dir“-Kommentaren. Nicht unbedingt der beste erste Eindruck, den man von sich in der neuen Heimat so vermitteln möchte, aber vermutlich einer, der bleibt. Und das ist ja auch was. Zum 10. JUST A LITTLE BIT DANGEROUS FEST komme ich mit Sturzhelm und Mundschutz.

P.S.: Die anderen haben die Show übrigens gespielt. War eher so mittel, habe ich gehört. Wir machen das dann bei Zeiten nochmal. In gut. Und mit der Showeinlage zum Ende der Show - nicht davor.


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