Dienstag, 5. Juli 2016

"Mein Gott, Markus!" | Liveübertragung von Schillers "Die Räuber" auf dem Vinetaplatz Kiel


Rockoper. Für einen Kulturbanausen wie mich ein wahres Unwort. Gar nicht mal so sehr wegen des "Oper"-Teils. Vielmehr ist es das "Rock", was unangenehme Assotiationen in mir hervorruft. Ich muss an schmierige Typen mit Lederarmbändchen und hässlichen Tribaltattoos auf dem Oberarm denken. Entsprechend bin ich - mal wieder - etwas vorbelastet als Frau Low vorschlägt, den Freitag Abend auf dem Kieler Vinetaplatz zu verbringen und sich dort eine Live-Übertragung der Rockoper-Version von Schillers "Die Räuber" anzuschauen. "Können wir Dosenbier mitnehmen?", frage ich. "Na klar, ich glaube ohne Dosenbier fällst du aufm Vineta unangenehm auf!", antwortet die Ortsansässige. "Okay, überredet", denk ich mir. Na denn man to...

Erster Pluspunkt: die ganze Nummer kostet uns nicht einen Cent! Die Übertragung ist komplett kostenlos und ich muss schon zugeben, dass ich es nen feinen Zug vom Theater Kiel finde, eine der drei Liveübertragungen am heutigen Tag im Stadtteil Gaarden stattfinden zu lassen. Die Hood ist die Bronx und weniger das Eppendorf von Kiel, sodass die meisten Leute hier eher weniger Zugang zu Kulturangeboten wie diesem haben. Die Gangster, Trinker und social rejects, die sich für gewöhnlich auf dem Vineta herumtreiben, scheinen heute allerdings was besseres vorzuhaben und wurden durch ein eher älteres Publikum, aber auch viele Familien ersetzt. Das Dilemma sozialer Arbeit in a nutshell. Egal, denn für die fünfköpfige Familie und die Rentnerin ist erwingliches Theater ebenso wenig Alltag. Die Veranstalter können sich jedenfalls über gut gefüllte Bänke freuen. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass es den ganzen Abend gepisst hat. Mit dem Öffnen meines ersten Bieres und dem Gong, der die Vorstellung einleitet, hört es aber glücklicherweise auf zu regnen. Perfektes Timing.

Der Opener des Stücks, welches im Übrigen auch unter freiem Himmel stattfindet, ist ein pathetischer Instrumentalsong, der aber ganz gut den Auftritt des ersten Protagonisten einleitet. Für alle, die es - wie ich - geschafft haben, sich in der Oberstufe vorm Schillerlesen drücken konnten, hier ein kurzer Abriss der Story (ich spoiler mal was das Zeug hält - ihr lest das Buch ja eh nicht, ihr ungebildeten Affen!): 

Franz Moor, der Spießige von zwei Brüdern, hat derbe Bock auf die Freundin seines coolen Punker-Bruders  Karl und bringt seinen Bonzenpapas mithilfe eines intreganten Plans dazu Karl zu verstoßen. Der setzt sich ab und startet mit ein paar Homies eine Räuberbande, deren Hauptmann er wird. Zusammen wird geplündert was das Zeug hält und an der großen Weltrevolution gearbeitet. Brüderchen steigt indessen zum Patriarch auf und befummelt immer wieder Karls Olle. Die hat gar keinen Bock auf den Schmierlappen und hofft auf die Rückkehr ihres Göttergatten. Der kommt auch, stellt fest, dass sein totgeglaubter Vater von Franz gefangen gehalten wird und dreht dann komplett frei. So mit Haus abfackeln und so. Franz macht sich selbst den Garaus und Karl stellt sich den Bullen. Ende. 

So, nun ist das Ganze ja ne Rockoper. Entsprechend wird da auch viel gesungen. Im Grunde kommt alle 10 Minuten ein Song. Das kann man ja grundsätzlich schon scheisse finden, find ich aber erstmal okay. Ich wusste ja was auf mich zukommt. Ich wusste auch, dass Markus Wiebusch - ehemals Frontmann von Deutschpunk-Legende ...But Alive, nun Sänger der hamburger Mimimi-Band Kettcar - Texte und Musik geschrieben hat. Obwohl ich für mein Wohlwollen hinsichtlich belangloser Musik bekannt bin, komme ich nicht umher hier und dort "Mein Gott, Markus!" in mich hinein zu murmeln. Schlimmer finde ich alldings das Cast. Die Figuren Punker-Karl und sein Buddy Spiegelberg sind echt okay gecastet und liefern ab. Sie stechen auf jeden Fall deutlich hervor. Der Rest des Casts bleibt blass und erinnert eher an Gute Zeiten, schlechte Zeiten als an Hochkultur. Und dann ist da noch das Problem mit dem Singen. Karl zeigt sich auch hier stabil, der Rest ist mit den Songs überfordert. Okay, der Gesang ist auch sau laut gemischt, sodass man kaum kaschieren kann, aber wer bei einer Rockoper singen soll, sollte auch singen können. Das ist kein Kassierer-Konzert, Leute! 

Eine positive Erwähnung hat aber in jedem Fall die Aufbereitung der Songs als Video verdient. Im Hintergrund laufen während der Darbietung eigens erstellte Musikvideos auf einem riesigen Screen. Das ist schon fett! Irgendwie werde ich ganz nostalgisch und muss an die gute alte M-TV und VIVA-Zeit denken. Da lief auch immer nur scheiss Musik, aber die Videos sind hängen geblieben.

Mit blutenden Ohren, krummen Rücken und ein paar Bieren im Kopf, machen wir uns nach etwa 2,5 Stunden wieder auf den Weg nach Hause. Frau Low eröffnet mir, dass ich unbedingt mal die Rocky Horror Picture Show sehen muss. Das sei viel besser. Und müsse man kennen. "Naja, okay", denke ich. "Solang ich da wieder Bier trinken darf..."

Fazit: Blöderweise war der Event son Exklusiv-Ding. Wenn du das Stück trotzdem sehen willst, musste ins Theater gehen. Das wär's mir jetzt nicht wert, aber wer weiß: vielleicht fragt dich deine Nichte demnächst, ob du ihr bei dieser Charakterisierung des rebellischen Karl in Schillers "Die Räuber" helfen kannst. Dann ist das auf jeden Fall immer noch VIEL BESSER als ein Buch zu lesen...

Unterhaltungsfaktor: 5 von 10
Kategorie: high culture
Eintritt: Restkarten zwischen 30€ und 70€
Infos: www.theater-kiel.de

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